Eines der bedeutsamsten Ereignisse in der Geschichte des Lebens auf der Erde fand vor etwa 500 Millionen Jahren statt, als eine Süßwasseralge die Fähigkeit entwickelte, Land zu besiedeln. Dieser Vorgang hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Lebensbedingungen auf der Erde. Diese erste Landbesiedelung durch einfache Vertreter der Schmuckalgen (Zygnematophyceae) ebnete den Weg für eine spätere Explosion der Flora und Fauna so wie wir sie heute kennen. Aktuell haben Forscher aus den USA und Kanada in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Alisdair Fernie vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie erstmalig das Genom eines Vertreters dieser Algenart untersucht und haben die genetischen Grundlagen aufgeklärt, die den Algen die Anpassung an das Leben auf dem Land ermöglichte.
Die Schmuckalge Penium margaritaceum war in der Lage durch ihre Anpassungsfähigkeit an Trockenheit und hohe Sonneneinstrahlung die Landbesiedelung vor etwa 600 Millionen Jahren zu meistern. © 2020 Elsevier Inc.
Sind heutzutage die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen
Algen und Pflanzen weitestgehend bekannt, verstehen wir die
evolutionären Mechanismen bisher kaum, welche es den Vorfahren
unserer Landpflanzen ermöglichten sich an die Trockenheit und
die hohe Sonnenstrahlung an Land anzupassen. Um Einblicke in
diese Anpassungsmechanismen zu erhalten, wurden bisher lediglich
Genomsequenzen von photosynthetisch aktiven Organismen und
Landpflanzen verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu
analysieren. Jedoch fehlte bislang ein vollständig sequenziertes Genom
eines Vertreters der Schmuckalgen.
In einer kürzlich im Fachmagazin „Cell“ veröffentlichten Studie haben nun
Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Jocelyn Rose von der CornellUniversität in den USA in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Alisdair Fernie
vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam
das Genom der Schmuckalge Penium margaritaceum sequenziert. Durch
die Analyse der Daten identifizierten die Forscher die elementaren
genetischen Voraussetzungen, die den Übergang von Wasser- zu
Landpflanzen ermöglichten.
Beweise für die nahe Verwandtschaft von P. margaritaceum mit
Landpflanzen
P. margaritaceum ist eine einzellige Alge und gehört zu der Gruppe der
Schmuckalgen. Die Wissenschaftler fanden durch die Auswertung der
Sequenzierungsdaten heraus, dass sich P. margaritaceum vor ungefähr
552-663 Millionen Jahren entwickelt hat und sich das Genom zu rund
80% aus sich wiederholenden Sequenzen (engl. repeats) zusammensetzt.
Das Genom weist über 53.000 proteincodierende Gene auf und
beinhaltet damit mehr Gene als z.B. das Genom der Kartoffel (ca. 39.000
Gene) oder Mais (ca. 32.000 Gene). Die Alge weist einen einfachen
Körperbau auf, besitzt aber eine komplexe, landpflanzenähnliche
Zellwand. Um die nahe Verwandtschaft zu Landpflanzen zu bestätigen,
wurde das Genom von P. margaritaceum mit 13 bereits bekannten
Genomen anderer Grünpflanzen verglichen. Dabei fand man eine
Vielzahl an gemeinsamen Genen, von denen einige in anderen Pflanzen
bereits funktionell charakterisiert wurden und deshalb angenommen
werden kann, dass sie in P. margaritaceum dieselbe Funktion ausüben.
Interessanterweise handelt es sich dabei hauptsächlich um Gene, welche
weitere Gene steuern als Antwort auf Stressfaktoren wie zum Beispiel
Wassermangel, Kälte oder Licht und Transkriptionsfaktoren genannt
werden.
Anpassungsfähigkeit an Stressbedingungen als Erfolgsrezept für das
Leben an Land
Ein entscheidender Schritt zur Besiedlung des Landes beruht auf der
Fähigkeit, sich an schädliche Umweltbedingungen wie Trockenheit,
extreme Temperaturen oder UV-Strahlung anzupassen. Um sich
vor Austrocknung zu schützen, brauchten die ersten landlebenden
Organismen komplexe Zellwände, die einen Wasserverlust verhinderten.
Obwohl P. margaritaceum eine einzellige Alge ist, so konnten viele
Gene identifiziert werden, welche die Struktur und den Aufbau der
Zellwand beeinflussen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass P.
margaritaceum bereits einige schützende Biopolymere synthetisieren
und absondern konnte und dies den Weg für die Bildung von Lignin,
Cutin und Suberin in pflanzlichen Zellwänden ebnete. Weiterhin fanden
die Forscher in einem Stress-Experiment heraus, dass P. margaritaceum
bei Trockenheit eine Schleimschicht, bestehend aus Polysacchariden,
absondert. Diese bietet zusätzlichen Schutz vor Austrocknung, sodass die
Alge dadurch gut an wasserarme Lebensräume angepasst war.
Da es zum Zeitpunkt der ersten Landbesiedelung noch keine
schattenspendenden Bäume auf der Erde gab, waren die ersten
Schmuckalgen der hohen Lichtintensität und UV-Strahlung an Land
gnadenlos ausgesetzt. Um sich an diese neuartigen Lebensbedingungen
anzupassen, benötigten sie Schutzmechanismen, die das Leben bei
hoher Sonneneinstrahlung ermöglichten. Um die Anpassung von
P. margaritaceum an diesen Lichtstress zu testen, kultivierten die
Wissenschaftler die Alge im Labor unter erhöhter Lichtintensität.
Als Antwort auf die hohe Lichtintensität wurde die Photosynthese
abgeschaltet um Zellschädigungen zu vermeiden - eine Reaktion,
die man auch bei Landpflanzen beobachten kann. Zusätzlich konnte
die Arbeitsgruppe um Prof. Alisdair Fernie aus Potsdam mittels
Massenspektrometrie verschiedene Flavonoide nachweisen, die aufgrund
ihrer antioxidativen Wirkung von entscheidender Bedeutung für den
Schutz vor UV-Strahlung sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in dieser Studie eine Reihe
von Genen identifiziert werden konnte, die der Alge die Anpassung
an einen kurzlebigen, semiterrestrischen Lebensstil erleichtert.
Grund für die Entwicklung ihrer Fähigkeit den Umweltstress an
Land zu tolerieren ist darin zu sehen, dass sie bereits in flachen
Feuchtgebieten mit schwankendem Wasserspiegel gelebt hat, die
zeitweilig sogar ausgetrocknet waren. Somit besitzt diese uralte Alge der
Zygnematophyceen die für ein Leben an Land notwendigen genetischen
Voraussetzungen und kann als Vorläufer unserer Landpflanzen
betrachtet werden.
Im weiteren Verlauf der Evolution bietet die Entwicklung mehrzelliger
Lebensformen einen weiteren Vorteil für das Leben an Land, da dadurch
eine größere Oberfläche für die Photosynthese und die Nährstoff- und
Wasseraufnahme aus dem neuen Lebensraum entsteht.
Kontakt
Prof. Dr. Alisdair Fernie Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie
Telefon: (0331) 567 8211
Dr. Björn Plötner Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie
Telefon: (0331) 567 8275
E-Mail: Ploetner@mpimp-golm.mpg.de